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18. April 2024

Überwiegend viergeschossig – mit Tendenz zur Massentierhaltung

Bürgerdialog Wasserstadt: Zwischenbilanz vom 14. April 2015

Dr. Habermann-Nieße moderiert den Bürgerdialog Wasserstadt
Lotse und Moderator Dr. Habermann-Nieße

Zwischen Kehrtwende und Salami-Taktik: Die Stadt stellt ihre überarbeiteten Pläne zur Wasserstadt vor, bleibt aber unverbindlich. Vor allem hält sich die Stadt eine Hintertür offen, indem sie keine Aussage zur beabsichtigten Bebauungsdichte macht. Gleichzeitig werden die Signale auf maximale Verdichtung gesetzt.

Ende 2013 wirft die Stadt die eigentlich abgeschlossene Planung für die Wasserstadt über den Haufen, indem sie die geplante Bebauungsdichte von 650 Wohneinheiten auf 2000 Wohneinheiten erhöht. Damit macht sie auch rund 15 Jahre intensiver Bürgerbeteiligung zur Makulatur. Die Empörung ist groß, die Folgen bekannt: Nach massiven Protesten aus Limmer und Linden setzt die Stadt einen Bürgerdialog in Gang. Auf der Veranstaltung im Freizeitheim am 14. April 2015 präsentiert die Stadt ihre Überlegungen, wie sie mit den Ergebnissen aus vier Workshops und den Beiträgen auf der eigens eingerichteten Webseite umgehen will. Genau genommen: sie hätte konkret auf die Ideen und Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger eingehen sollen und wollen. Herausgekommen ist aber nur ein vages Verständnis der Bürgerwünsche und ein unmissverständliches Signal in Richtung maximaler Verdichtung.

Breite Beteiligung, aber kein Spitzenergebnis

Das “Produkt” der intensiven Bürgerbeteiligung ist ein Katalog mit 102 Forderungen, der mit der Bezeichnung “Meinungsbogen” unnötig kleingeredet wird. Dieser Katalog ist Gefahr und Chance zugleich: Bei bestem Willen ließen sich niemals alle Forderungen 1:1 verwirklichen. Einige Ideen schließen sich auch gegenseitig aus. Vor allem aber verlagert die Sammlung der Ideen die Diskussion auf eine andere Ebene: Wie wird die Bebauung der Conti-Brache nicht nur akzeptabel sondern attraktiv? Da wird der Kern der Diskussion – wie dicht soll bebaut werden, wieviele zusätzliche Menschen vertragen Umfeld und Infrastruktur – leicht aus dem Blick gerückt. Überspitzt ausgedrückt: Wenn wir so einen tollen Stadtteil hochziehen (wollen), dann gehen doch auch 5000 Einwohner in Ordnung, oder?

Ebenso folgt aus dem Katalog: Je mehr Forderungen umgesetzt werden (sollen), um so größer muss die Ansiedlung sein. Weil einige Ideen bei geringer Dichte schlicht nicht funktionieren. Weil viele Forderungen Kosten verursachen, die auf möglichst viele Köpfe umgelegt werden müssen, damit sie finanzierbar sind.

 Prof. Guido Spars
Prof. Guido Spars wirbt für dichte Bebauung

Die Rückkehr der 5000

In die Kerbe einer höheren Verdichtung schlägt auch der Vortrag des eigens organisierten Gastredners Professor Spars von der Bergischen Universität Wuppertal. Er singt nicht nur das Hohelied der Urbanität, er setzt auch mit seinem Vortrag deutliche Ausrufezeichen für eine maximale Verdichtung. Bei einigen seiner Überlegungen steht sogar eine Dichte von 5000 Einwohner direkt und offen auf der Folie.

Die Stadt will sich nicht festlegen

Richtig ärgerlich finde ich die Beiträge der Stadt, in der sie bindende Kopplungen von Bebauungsdichte und Forderungen – ein Junktim – formal für nicht machbar hält: Weil die Stadt nicht mit sich selber Verträge schließen könne oder weil gar Vertragspartner fehlen würden. Konkret zum Beispiel bei der Verknüpfung von Bebauungsdichte mit einem verlässlichen Ausbau der Verkehrsinfrastruktur.

So eine Aussage ist natürlich Quatsch, man will sich nur einen maximalen Gestaltungsspielraum ohne jede Verpflichtung sichern. Wer so etwas erzählt, schickt seine Zuhörer auf Kindergarten-Niveau. Richtig ist wohl, dass einige Kopplungen im politischen Raum, von den Fraktionen, festgelegt und als Beschlüsse in Rat und Bezirksrat festgezurrt werden müssen. Die Verwaltung kann ansonsten aber sehr wohl durch bindende Willenserklärungen und Selbstverpflichtungen z. B. dafür sorgen, dass in der Wasserstadt nicht für mehr Menschen gebaut wird, als ÖPNV und Straßen nachher bewältigen können. Genau dieses “Junktim” halte ich nach wie vor für geradezu zwingend.

Baudezernent Bodemann kämpft für markante Bauten
Baudezernent Bodemann kämpft für markante Bauten

Bodemann will hoch hinaus

“Überwiegend viergeschossig” – aber sobald man genauer nachfragt, wird schon wieder rumgeeiert. Der Übergang zum alten Dorf Limmer soll auf dreigeschossige Bauweise beschränkt werden. So weit, so gut. Aber schon an den Rändern des Baugebietes treibt es den Baudezernenten Bodemann zu “markanten Bauten”, was sich verdächtig nach vier Geschosse mit großem Plus anhört. Auf Nachfragen wird es dann eher markant schwammig. Wobei es mich sowieso wundert, warum man rund um das Gelände so etwas wie eine Burgmauer hochziehen will. Das schottet nicht nur ab, das versperrt auch den “Innenwohnern” die Aussicht.

Mobilität Wasserstadt noch in der Sackgasse

Die Themenkarte Mobilität fällt deutlich hinter den Diskussionsstand zurück: Im Workshop Mobilität waren wir schon weiter. Die im Gutachten als zwingend vorausgesetzte zusätzliche Rampe am Schnellweg fällt schon mal gleich unter den Tisch. Was ansonsten zur verkehrlichen Anbindung der Wasserstadt auf der Themenkarte angeboten wird, unterscheidet sich praktisch nicht vom Status quo heute. Mit ein paar Schlagworten wie Carsharing, Sharespace, Verkehrsberuhigung und Elektromobilität versucht man wohl den grünen Koalitionspartner auf den Leim zu locken. Dazu noch ganz viele Radwege. So macht man vielleicht Ökoherzen glücklich, den Verkehr bewältigt man damit nicht. Statt eines Konzeptes wird hier auf das Prinzip Hoffnung gesetzt. Ich halte das für den enttäuschendsten Teil der ganzen Veranstaltung.

Beirat statt Beteiligung?

Wenn du nicht mehr weiter weist, dann gründe einen Arbeitskreis: Sehr zwiespältig sehe ich den geplanten Beirat, der die weitere Planung begleiten soll. Mal abgesehen von der Legitimation, die noch geklärt werden müsste: Wie soll der Beirat funktionieren? Wird diskutiert oder entschieden? Tagt er öffentlich? Wie soll die Diskussion mit den interessierten Bürgern rückgekoppelt werden. So sehr ich eine Verzahnung aller Beteiligten begrüße, beim Beirat werde ich das ungute Gefühl nicht los, dass hier lediglich ein Feigenblatt geschaffen werden soll.

Fazit: Weniger erreicht mehr

Meine persönliche Zwischenbilanz fällt sehr gemischt aus. Einerseits finde ich es toll, dass die Stadt von ihrer Maximalposition erst mal abgerückt ist und sich einer Bürgerbeteiligung stellt. Andererseits versteht es die Stadt sehr gut, den Bürgerwillen zu “moderieren”: Aus dem bisherigen Dialog ist ein Füllhorn an Ideen und Wünschen geworden, das sich auch gegen die Bürger positionieren lässt. Das erkennt man schon jetzt daran, wie sehr die Notwendigkeit einer höheren Bebauungsdichte betont wird.

Themenkarten zum Bürgerdialog Wasserstadt
Der Dialog zur Wasserstadt geht weiter

Viele Wünsche verdecken das Ziel

Mit den 102 Wünschen aus den Workshops ist der Stadt und den Investoren eine unverhältnismäßig große Verhandlungsmasse in den Schoß gefallen: “Wollt ihr dieses? Dann akzeptiert bitte jenes”. Teilweise haben die Forderungen nichts mehr mit dem ursprünglichen Ziel zu tun, dass Limmer aber auch Linden vom neuen Stadtteil Wasserstadt nicht überrollt, überfordert und an die Wand gedrückt werden dürfen. Es werden Dinge gefordert, die ohnehin “Stand der Technik” sind oder sowieso zwingend sind. Welcher Stadtplaner oder Investor mit Verstand wird sich gegen Carsharing, Elektromobilität oder Fahrradgaragen an den Haltestellen sperren? Über solche Selbstverständlichkeiten können die wirklichen Knackpunkte für einen gelingenden, zum Bestand passenden Stadtteil leicht unter die Räder geraten. Es sind viele Wünsche dabei, die das Leben in der Wasserstadt angenehmer und wünschenswerter machen. Das ist auch absolut legitim. Aber die Ausgangsforderung war doch wohl, dass der neue Stadtteil seine Nachbarn nicht überfordern darf. Weder sozial, noch architektonisch oder verkehrlich.

Für die Feedbackwerkstatt am 12. Mai halte ich es für sinnvoll, sich auf die Forderungen zu konzentrieren, die die neue Wasserstadt für ihre Nachbarn “erträglich” macht. Im Themenbereich “Schöner Wohnen” werden die Investoren schon aus Eigeninteresse auf attraktive Angebote achten.

Immerhin: Ganz am Anfang, noch vor dem Bürgerdialog, fanden SPD und Grüne mal ein innovatives, unterirdisches (!) Müllkonzept ungeheuer wichtig und erstrebenswert. Dieses Müllkonzept taucht im Forderungskatalog wenigstens nicht mehr auf. Das ist ein Fortschritt, allein dafür hat sich der Dialog gelohnt ;-)

Quellen und weiterführende Links

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